iroschottische Missionare: Künder des Glaubens und Wegbereiter der Wissenschaften

iroschottische Missionare: Künder des Glaubens und Wegbereiter der Wissenschaften
iroschottische Missionare: Künder des Glaubens und Wegbereiter der Wissenschaften
 
Bis zur Spätzeit des Römischen Reiches waren die zu ihm gehörenden europäischen Bevölkerungsteile weithin christianisiert; sie waren geprägt durch spätantike lateinische Theologie und ihre episkopalen Kirchenformen. Die Wirren der Völkerwanderung veränderten nicht nur das politische Gefüge, sondern auch die religiöse Landschaft: Heidnische Germanenstämme besiedelten und beherrschten weite Teile Europas, nur in manchen Regionen - etwa am Mittelrhein zwischen Straßburg und Köln - konnte die galloromanische Tradition überdauern.
 
Die mit Beginn des Mittelalters einsetzende Missionierung hatte vor allem die germanischen Stämme innerhalb und außerhalb der Grenzen des früheren Römischen Reiches zum Adressaten. Ein Teil der Germanenstämme, die Goten, waren auf ihren Wanderungen mit einem arianischen. Christentum östlicher Prägung in Kontakt gekommen und hatten es angenommen - die Ostgoten siedelten schließlich in Pannonien und Italien, die Westgoten in Südfrankreich und Spanien. Das westliche Mittel- und Nordeuropa wurde aus zwei Richtungen missioniert, einmal von Süden her, aus Italien und den noch intakten Bistümern und Klöstern im gallorömischen Bereich, zum anderen aus dem Norden durch die iroschottische Mission. Die erstere war vor allem im 5. und 6. Jahrhundert sehr aktiv und konnte mit der Taufe des Frankenkönigs Chlodwig Ende des 5. Jahrhunderts in Reims einen wichtigen Erfolg erzielen. Sie war dann aber längere Zeit weniger effektiv als die iroschottische, um dann mit der angelsächsischen Mission des 8. Jahrhunderts und der Anlehnung der Karolinger an Rom schließlich siegreich zu sein.
 
Dennoch bleibt es unbestritten, dass der iroschottischen Mission ein wichtiger Anteil an der Missionierung Europas zukommt. Unter »iroschottisch« ist zunächst einmal nur die irische Kirche zu verstehen - Irland wurde im Mittelalter als »Scotia« bezeichnet; im 6. Jahrhundert aber wurde von Irland aus auch das heutige Schottland, besonders durch Columban den Älteren, missioniert; es blieb lange Zeit Teil der irischen Kirche.
 
Die irische Kirche und so auch ihre Mission kannte Eigentümlichkeiten, die sie von der sonstigen lateinischen Kirche unterschied: In erster Linie war sie eine Mönchs- und Clankirche. Grundlage der Gesellschaft waren die Stämme oder Blutsgemeinschaften (»tuath«); gegen Ende des 8. Jahrhunderts gab es mehr als 180 dieser Clans. Zu den Klöstern, eine Art Clan-Konvent, bei dem nur der innerste Kern aus Mönchen bestand, gehörten alle Stammesangehörigen. Die Kirche wurde von den Äbten dieser Klöster geleitet, seltener von Bischöfen, wie überhaupt das im lateinischen Raum so wichtige Kirchenamt - das Mönchtum war eine Laienbewegung - keine so große Rolle spielte. Viele Einzelheiten der iroschottischen Kirche scheinen Einflüsse aus dem östlichen, griechischsprachigen Mittelmeerraum zu verraten: monastische und liturgische Traditionen, die Ornamentik und die Gestalt der Buchstaben in frühen Handschriften, ägyptische Mönchsnamen in irischen Litaneien und vor allem die mehr als anderswo verbreiteten Griechischkenntnisse. Es ist umstritten, ob diese Eigenschaften mit einer Gründung der irischen Kirche durch ägyptische Mönche erklärt werden muss; jedenfalls scheint das Christentum schon im 3. und 4. Jahrhundert in Irland Fuß gefasst zu haben. Damit wirkten sicher auch gallorömische Einflüsse nach Irland: Schon Papst Coelestin I. soll im Jahr 431 den Bischof Palladius nach Irland geschickt haben, und nach verbreiteter Überlieferung gilt, was wohl überzeichnet ist, die dortige Kirche als eine Gründung des Bischofs Patrick; er war als Sklave aus England nach Irland verschleppt worden und kehrte nach seiner Flucht als Missionar dorthin zurück.
 
Das iroschottische Mönchtum war streng, kannte Züge des Eremitentums und betonte den hohen Wert der »Hauslosigkeit« und so der immer neuen Wanderschaft (»peregrinatio«). Von daher ergab sich eine starke Dynamik, in die Welt hinauszuziehen. Was vielleicht zunächst die eigene Vollkommenheit zum Ziel hatte, führte zunächst zu einer sporadischen, bald aber auch zu einer systematischen Mission. Diese richtete sich anfänglich auf Regionen in England und Schottland, später dann, seit Columban dem Jüngeren, auf das Festland. Columban gründete drei Klöster in den Vogesen, von denen vor allem Luxeuil wichtig wurde. Von ihm gingen rund 50 weitere Neugründungen aus. Columban zog später weiter in die Schweiz, wo sein Schüler Gallus das später nach ihm benannte Kloster Sankt Gallen gründete, und bis nach Italien, wo das Kloster Bobbio auf ihn zurückgeht. Im 7. Jahrhundert durchwanderten iroschottische Missionare weite Gebiete Europas, gründeten Klöster und ein sich um sie herum gruppierendes Christentum. Obwohl sich im folgenden Jahrhundert ein mehr lateinisches Christentum durchsetzen konnte, gehören die Prägungen durch die iroschottische Mission zum Erbe des späteren Mittelalters. Hierzu ist wohl die enge Verbindung der Nachfolge Jesu mit dem Armutsgedanken zu rechnen, die im Hochmittelalter die dynamische Armutsbewegung hervorbrachte; vielleicht gehen auch viele Motive der hoch- und spätmittelalterlichen wie der neuzeitlichen Kritik an der Erscheinungsform der episkopalen und papalen Kirche auf die Europa eingestifteten mönchischen Ideale zurück. Neben vielen anderen einzelnen Motiven ist vor allem die Beichtpraxis (Ohrenbeichte) eine Hinterlassenschaft der Iren.
 
In den Klöstern Irlands und dann auch in den Neugründungen auf dem Festland wurde der Pflege der Wissenschaft ein großer Wert beigemessen. Hierbei stand bis ins 8. Jahrhundert hinein die Theologie im Vordergrund; Grammatik und Exegese sollten die heiligen Schriften zugänglich machen, wobei auch die Vermittlung von Griechischkenntnissen nicht ungewöhnlich war; Kalenderwissenschaft war zur sakralen Einteilung des Jahres vonnöten. Weil nicht nur der eigene Mönchsnachwuchs, sondern auch Laien die Klosterschulen besuchen durften, wurden diese zu Keimzellen der kulturellen Vermittlung. Später wurde in den Klöstern immer stärker auch die vorchristliche, auch griechische Tradition, vor allem das platonische Denken gepflegt. Während der Karolingerzeit trug eine Reihe von Iren, die - als Mönche oder Laien - in den Klöstern ihrer Heimat erzogen worden waren, wesentlich zum kulturellen Aufschwung, der »karolingische Renaissance«, bei. Hier sei - stellvertretend auch für andere - Johannes Scotus Eriugena genannt, der an der Hofschule in Laon lehrte.
 
Prof. Dr. Karl-Heinz Ohlig
 
 
Frank, Karl Suso: Geschichte des christlichen Mönchtums. Darmstadt 51996.
 Hage, Wolfgang: Das Christentum im frühen Mittelalter (476—1054). Vom Ende des weströmischen Reiches bis zum west-östlichen Schisma. Göttingen 1993.
 
Kulturgeschichte der christlichen Orden in Einzeldarstellungen, herausgegeben von Peter Dinzelbacher u. a. Stuttgart 1997.

Universal-Lexikon. 2012.

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  • iroschottische Mission — iroschottische Mission,   die an dem frühmönch. Ideal der asketischen Heimatlosigkeit (»peregrinatio propter Christum«, Pilgerschaft um Christi willen) orientierte Mission der irischen Mönche, die sie an die Westküste Schottlands und auf das… …   Universal-Lexikon

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